„Ich bin skeptisch gegenüber Anerkennung“
Katharina Sieverding bekommt am Dienstagabend den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste. Monopol traf die Künstlerin zum Interview.
Berlin. Katharina Sieverdings Stimme ist ein wenig stressbelegt. Positiver Stress, wie die 72-Jährige sagt. Für ihre großformatigen Fotoarbeiten, die immer wieder in die Wunden der bundesrepublikanischen Seele stachen, wird die Künstlerin nun mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste ausgezeichnet. Die zugehörige Ausstellung eröffnet am Dienstagabend im Hanseatenweg in Berlin. Neben großformatigen Plakaten, die sich mit Holocaust-Gedenken oder Militarisierung beschäftigen, zeigt Sieverding auch eine Fotoinstallation aus ihrem persönlichen Fotoarchiv. Wir haben die Künstlerin in Berlin gesprochen.
Frau Sieverding, Sie waren immer eine Künstlerin der großformatigen Bilder. Was heißt das in einer Zeit, in der die Bilder auf unseren Tablets und Telefonen immer kleiner werden?
Ich habe eine genuine Empathie zum großen Format. Das heißt nicht, dass kleine Bilder nicht auch interessant sein können, aber ich komme aus dem kinematografischen Denken. Alle Bilder, die ich in die Welt setzte, sehe ich im Bezug zu den Betrachtenden. Ich will, dass sie eine „Lifesize“-Dimension erfahren, das heißt, dass sie davor stehen und sich in den Bildraum denken und bewegen können. Das klappt natürlich nicht bei allen Bildern, aber besonders in den 70er-Jahren war es mir wichtig, dass Orte und Akteure on stage sind.
Für viele Ihrer Bilder war auch der öffentliche Raum die Bühne. Was passiert, wenn die Plakate an Museumswände kommen?
Hier in der Akademie der Künste habe ich alle Arbeiten in dasselbe Plakatformat gebracht, auch die, die bisher nicht im öffentlichen Raum zu sehen waren. Das hat im Museumsraum einen interessanten Effekt, der für mich auch mit dem Anlass der Schau zu tun hat. Ich habe mich gefragt, was ich mit Käthe Kollwitz zu tun habe und ich finde, dass sie als Künstlerin sehr früh Themen von generellem Interesse, wie Krieg, Aufstände und Arbeitslosigkeit, behandelt hat. Das sind Themen, die in den öffentlichen Raum gehören. Das habe ich versucht, mit heutigen Darstellungsmitteln in den Museumsraum zu bringen und damit auch an ihre Arbeit zu erinnern.
Geht es Ihnen genau wie ihr um eine Form von Gegenöffentlichkeit?
Ja, das gehört zu diesen Bildern dazu.
Ihr Slogan „Deutschland wird deutscher“ aus den 90er-Jahren wird heute völlig distanzlos von der AfD in den öffentlichen Diskurs gestreut. Würden Sie diese Arbeit heute noch so machen?
Etwas zu wiederholen, finde ich an sich uninteressant, daher stellt sich die Frage so für mich nicht. Aber auch damals hat man mir Werbung für Rechtsradikalismus vorgeworfen und die Kulturregion Stuttgart hat die Arbeit aus dem öffentlichen Raum in 18 Städten abgelehnt. Ich glaube, diese Zensur hängt damit zusammen, dass die Nähe Deutschlands zum Faschismus immer noch verdrängt wird. Keiner will etwas damit zu tun haben, aber alle reagieren ganz stark auf das Thema. Man könnte „Deutschland wird deutscher“ auch positiv lesen und nicht unbedingt im Kontext des Rechtspopulismus: Nach der Wende kam Neues dazu, es war das Ende der Trennung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber so hat es niemand aufgefasst. Der gegenwärtige Rechtsruck hat für mich auch mit den nicht bewältigten Aspekten der Geschichte zu tun. Deshalb hat auch mein Plakat immer noch eine erschreckende Aktualität. Ich muss gar nichts aktualisieren, das tut das Bild selbst. Im Moment kümmere ich mich lieber um Kim Jong Un und solche Gestalten.
Erkennen Sie sofort, wenn ein Nachrichten-Bild Sie so interessiert, dass es in Ihre Arbeit eingeht?
Ich tendiere immer wieder zu denselben Themen. Die sogenannte Globalisierung und was das eigentlich heißt, oder die ganzen Mechanismen von Aufnehmen und Ausschließen in der Flüchtlingsfrage. Gleichzeitig werden immer noch Waffen in die Teile der Welt geliefert, aus denen Menschen vertrieben werden. Diese Widersprüche in Bilder zu fassen, interessiert mich. Ich habe mich auch immer wieder zu Bildern der Sonne hingezogen gefühlt, weil da einfach ausgeschlossen ist, dass man diesen Raum kolonisieren kann.
Sie haben mal Medizin studiert. Geht es Ihnen beim Fotografieren auch um eine Diagnose?
Ja. Wenn ich eine Foto- oder Filmkamera in die Hand nehme, bin ich mir auch darüber bewusst, wo die audiovisuellen Werkzeuge herkommen. Sie werden im Militärkontext entwickelt und ebenso die bildgebenden Verfahren in der Medizin. In dieser Disziplin wird die Krankheit als Feindbild gesehen, das ist nicht mein Ziel. Mir geht es in der Diagnostik eher darum, durch Bilder etwas bewusst zu machen, zu zeigen, auf was wir als Gesellschaft zusteuern. Die Diagnostik ist eine Funktion der Bilder, ich sehe mich auch in gewisser Weise als Zeitzeugin, aber die Frage in der Kunst ist ja auch immer: Wie bewältigen wir diese Befunde? Ich will es nicht zu simpel mit Heilkunst vergleichen, aber die Bildsprache kann transformierend wirken.
Sie fotografieren meist analog. Aus Gewohnheit oder aus Prinzip?
Ich benutze die Leica C3 und Schwarz-Weiß-Film. Wenn ich mit dieser Kamera fotografiere, bin ich fast radiologisch unterwegs. Dann will ich eine Situation durchdringen. Digitale Bilder haben für mich nicht dieselbe analytische Schärfe. Und wenn ich mir meine Bilder in Farbe vorstelle, turned mich das überhaupt nicht an.
Sie hegen ein Misstrauen gegen Farbe?
Ja, dadurch werden die Protokolle unschärfer, gefälliger. Durch analoge Schwarz-weiß- Bilder schreibe ich die Fotogeschichte fort. Ich habe neulich die Beuys-Dokumentation angeschaut. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen fand ich alle toll, aber die Szenen in Farbe würde ich sofort rausnehmen. Das hat für mich keinerlei Herausforderung.
Nochmal zurück zum Kollwitz-Preis: Hat sich ihr Verhältnis zu Anerkennung mit der Zeit verändert?
Ich weiß, dass gerade viele meiner weiblichen Kolleginnen ihr Leben lang um Anerkennung gekämpft haben, aber für mich empfinde ich das nicht so. Ich konnte immer arbeiten, das war mir das wichtigste. Ich bin eher skeptisch gegenüber Anerkennungsmechanismen und jeglichen Geniegedanken, damit möchte ich gar nichts zu tun haben. Für mich ist dieser Preis eher ein Anlass, mich noch einmal mit dem Werk von Käthe Kollwitz auseinander zu setzen. Komischerweise habe ich am Theater immer wieder an Inszenierungen mitgearbeitet, bei denen Tomaten und Eier geworfen wurden. Das hat mich sehr früh gegen diese Anerkennungsmythen immunisiert. Die besten Leute, mit denen ich zu tun hatte, wurden nie anerkannt.
Lesen Sie dieses spannende Interview zwischen Katharina Sieverding und Saskia Trebing vom 10. Juli 2017 auch auf Monopol Online.
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