Düsseldorf-Pempelfort, 26. Februar 2018. In ihrem Showroom, der sich unweit von ihrem Studio in einem klassischen Backsteinbau befindet, bin ich heute mit Katharina Sieverding verabredet. Das Gebäude dient sowohl als Depot und Präsentationsfläche ihrer Arbeiten wie auch als Treffpunkt für ihre Öffentlichkeitsarbeit. Wir betreten gemeinsam den Eingangsbereich, schlängeln uns vorsichtig an den an der Wand lehnenden Arbeiten vorbei und befinden uns zunächst im wunderschön gestalteten Treppenhaus. Bereits hier sind einzelne ihrer berühmten Selbstportraits zu sehen. Der Showroom selbst verkörpert dann das, was Katharina Sieverding mit Raumkunst umschreibt. Die gigantischen Großformate entfachen eine Wirkung wie cineastische Leinwände und saugen den Betrachter geradezu in sich hinein. Auch der für das Kino typische Subtitle ist hier präsent, jedoch nicht unter, sondern mitten auf der Bildfläche.
Die vollständige Magie umwehen schließlich im Nebenraum die Monumentalprints der Arbeit „DIE SONNE UM MITTERNACHT SCHAUEN“, 2010 – 2017, die üblicherweise als 5m x 5m Projektionen präsentiert werden. Die Motive der einmal in strahlendem Blau und einmal in strahlendem Rot animierten, rotierenden Sonne haben etwas von Filmpostern eines Science-Fiction-Films.
Das Spektrum der Themenfelder, in dem sich die Arbeiten von Katharina Sieverding bewegen, scheint endlos. Ebenso die Auseinandersetzung mit dem, was mit dem Medium der Fotografie möglich ist. Ihre jüngste internationale Einzelausstellung führte sie nach Kuba, wo anlässlich des NOVIEMBRE FOTOGRÁFICO 2017 in der Fototeca de Cuba in Havanna ein Überblick ihrer seriellen Fotoarbeiten von 1980 bis heute präsentiert wurde. Versorgt mit heißem Tee beginnen wir unser Gespräch und setzen thematisch dort an.
Das Programm des Fotofestivals umfasste einen längeren Zeitraum, so dass Sie mehrere Wochen auf Kuba waren. Sind Sie während eines solchen Aufenthalts mit der Kamera unterwegs und entwickeln Ideen für neue Arbeiten?
Sieverding: „Eine Kamera habe ich immer dabei. Ob und was sich aus dem Fotomaterial dann entwickelt, zeigt sich meistens erst später. Grundsätzlich schafft mir ein längerer Aufenthalt im Rahmen einer Ausstellung die besten Arbeitsbedingungen. Hierbei schätze ich vor allem die Gespräche mit einheimischen Künstlern. Indem sie von ihren eigenen Situationen erzählen, erfahre ich vieles über die politischen und kulturellen Bedingungen hinter den Kulissen.“
Haben Sie schon eine konkrete Idee, was aus dem Fundus der Kuba-Bilder entstehen könnte?
Sieverding: „Ja. Die Idee steht im Zusammenhang der Manifesta 12 Palermo, zu der ich als Teilnehmerin eingeladen bin. Palermo ist als Kulturhauptstadt 2018 der diesjährige Gastgeber. Mit dieser Einladung wurden mir erstaunliche Parallelen zwischen den Städten Havanna und Palermo bewusst. Beispielsweise sind beide durch den Verfall der historischen Altstädte geprägt und durch Korruptions- und Flüchtlingsprobleme belastet. Solcherart Kontexte, die ich noch intensiver recherchieren werde, möchte ich über die Montage- und Multilayerprozesse von Bildern zum Ausdruck bringen. Ähnlich der Beispiele aus GLOBAL DESIRE.“
Die permanente Auseinandersetzung mit dem, was auf nationaler wie globaler Ebene ökonomisch und kulturell passiert, begleitet Ihr gesamtes Werkschaffen. Mit Ihren schonungslosen Statements riskieren Sie immer wieder aufs Neue, dass Sie auf Unverständnis stoßen. Können Sie gut damit umgehen?
Sieverding: „Manchmal finde ich es sogar gut, wenn eine Arbeit verrissen wird. Als Dauerzustand würde mir das natürlich nicht gefallen (lacht). Wie ausdauernder Widerstand ausgehalten werden kann, habe ich sehr früh in meiner Zeit am Theater kennengelernt [Katharina Sieverding studierte unter anderem von 1964 – 1967 Bühnenbild bei Teo Otto]. Die meist ungewöhnlich innovativen, daher zeitintensiven Inszenierungen überforderten häufig das klassische Abonnement-Publikum und riefen entsprechend heftigste Proteste hervor. Doch mit dem Bewusstsein, eine gute Performance geboten zu haben, ertrug man die fliegenden Eier, Tomaten – und ich weiß nicht, was noch alles flog … Die Zeit am Theater hat mich insgesamt sehr geprägt. On-Stage, Life-Size, Teamproduktion, das faszinierte und prägte mich und spiegelte sich dann auch als Voraussetzung in meinen Arbeiten.“
Vor allem in Ihren Selbstportraits, die neben den politischen Statements einen wichtigen Part in Ihrer künstlerischen Laufbahn einnehmen. Hier kam dann neben der Begeisterung für die Bühne auch die Begeisterung für das Close-up des Kinos hinzu?
Sieverding: „Ja genau. Die Suggestion des Close-ups hatte für mich einen Wow-Effekt. Es war zum einen die grundsätzlich suggestive Kinoproduktion, die ich zum Experiment für die Formatfrage machte, und zum anderen die sehr starke Oberflächenästhetik, die mich zu der Frage herausgefordert hat, wie über diese Oberfläche etwas über das Innere des Menschen visualisiert werden kann. Und speziell diese Frage habe ich dann mittels unterschiedlichster Experimente von Selbstportraits zu beantworten gesucht.
In den 1970er Jahren ein durchaus gewagtes Experiment für eine weibliche Künstlerin.
Sieverding: „In der Tat. Künstlerinnen, vor allem diejenigen, die sich im Genre der Malerei bewegten, wurden wenig anerkannt. Das war die Domäne männlicher Genies. Dass ich dann mit großformatigen Selbstportraits, Fotografie, Film und Performance agiert und installiert habe, kam einer feministischen Strategie gleich. Deutlicher konnte ich das: ,die Künstlerin ist anwesend’ nicht zum Ausdruck bringen … geradezu eine Dekonstruktion des Genie-Begriffs.“
Sehen Sie sich selbst als Feministin?
Sieverding: „Der Differenzfeminismus mit seinem „hier ist der Mann, da ist die Frau“ hat mich nicht interessiert. Eine Emanzipation des Weiblichen konnte ich mir gegen oder ohne Männer gar nicht vorstellen. Unter Emanzipation verstehe ich, dass man kritisch mit sich selbst und seiner Umwelt umgehen und eine eigene Haltung entwickeln muss. Nur so können wir mit der komplexen Verantwortung für ein Menschenbild umgehen, die unsere besondere analog-digitale Zeitenwende mit sich bringt, beziehungsweise herausfordert.“
Könnte man entsprechend die Entwicklung Ihrer großen Themenfelder auf diese Aussage übertragen? Die Selbstportraits als Experimentierfeld auf der Suche nach der eigenen Identität und die politischen Arbeiten als Experimentierfeld, um die eigene Position innerhalb der globalen gesellschaftspolitischen Strukturen zu entwickeln?
Sieverding: „Das kann man durchaus. Es geht immer um die Reflexion von Subjektivität und Objektivität. So wie ich selbst haben sich natürlich auch meine Themenfelder verändert. Unverändert steht hierbei aber der kritische Umgang mit Bildern und Informationen im Mittelpunkt meiner Arbeit, der im Zeitalter der Digitalisierung wichtiger geworden ist denn je.“
„Ein solcher kritischer Umgang umfasst bei Ihnen neben der wissenschaftlichen Recherche zu Ihren jeweiligen Themen auch das buchstäbliche Zerlegen medial veröffentlichen Bild- und Textmaterials. Über das handwerkliche Auseinandernehmen überprüfen Sie die visuelle Oberfläche unter anderem nach Mustern von Instrumentalisierung und Manipulation, selektieren das Material und stellen es mittels unterschiedlichster Montagetechniken neu zusammen. Entsteht im Ergebnis eine Art neue These?“
Sieverding: „Ich nenne es lieber künstlerisches Statement, da meine Thesen im Gegensatz zur wissenschaftlichen Forschung nicht durch Theorien legitimiert werden müssen, was ein ungeheures Privileg dieses Berufes ist. Einer der wenigen professionellen Bedeutungsräume, in dem man sich markt-unabhängig entscheiden und künstlerisch artikulieren kann.“
Für manchen Wissenschaftler vermutlich eine beneidenswerte Vorstellung … Ihr allumfassendes Interesse schließt auch das Interesse an der Arbeit der nachfolgenden Künstlergeneration mit ein. Man trifft Sie häufig als Besucherin von Ausstellungseröffnungen, Sie engagieren sich in Fragen der Lehre und stellen sich unterschiedlichsten Themen auf Podiumsdiskussionen. Aus meiner Erfahrung ist es eher ungewöhnlich, wenn Künstler nicht nur ihre eigenen Ausstellungseröffnungen besuchen …
Sieverding: „Das wundert mich auch. Gerade hier am Standort der Staatlichen Düsseldorfer Kunstakademie interessieren mich doch selbstverständlich die Arbeiten der jungen Künstler und vor allem der Austausch mit ihnen. Das war auch stets ein wesentlicher Bestandteil meiner eigenen Lehre. Immer stand der Diskurs über die Arbeiten der Studenten im Mittelpunkt und nicht der über meine eigenen.“
[Katharina Sieverding lehrte u.a. in den 1970er Jahren in den USA und Kanada, 13 Jahre an der Internationalen Sommerakademie für bildende Künste in Salzburg, an der Academy of Fine Arts in Hangzhou (China), gehörte zum Universitätsrat der Akademie der bildenden Künste Wien und lehrte an der Graduiertenschule der Universität der Künste Berlin, wo sie ebenfalls von 1992 – 2010 den Lehrstuhl für Visual Culture gründete, im Teamteaching mit mit Sabeth Buchmann, Katja Diefenbach, Klaus Biesenbach, Frank Bartsch und Bodo Schlack.]
Stichwort Engagement in Düsseldorf. Sie nehmen teil an dem Projekt von Markus Ambach. Es hat den Titel ,Von fremden Ländern in eigenen Städten’ und ist ein Großprojekt im öffentlichen Raum. Was haben Sie hierfür geplant?“
Sieverding: „Das wird die größte Arbeit meiner bisherigen Laufbahn werden. Über eine Fläche von 200 Metern Länge und 4 Metern Höhe werde ich einen Image-Fries mit aneinandergereihten Statements für die Fassade der Alten Paketpost am Hauptbahnhof für voraussichtlich 1 Jahr gestalten, in der gerade das Schauspielhaus stationär untergebracht ist.“
Demnach eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem brisanten kulturpolitischen Thema der Stadt Düsseldorf. Gönnt Ihr interdisziplinärer Forschergeist Ihnen auch schon mal eine kleine Pause?
„Ich bin eine Hochleistungsstudentin, 24 Stunden im Einsatz“, verrät Katharina Sieverding zum Abschluss lachend.
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