Die Entfernung vom Tafelbild und die Einbeziehung des Raumes werden zur Grundlage seiner Arbeit auf allen Gebieten der Maltechnik und der Skulptur. Das gilt insbesondere für den Rotor, den er für kinetische Objekte benutzt, ebenso wie für Zeichnungen, Grafik, Reliefs, in denen die Rotation immer wieder eingesetzt wird. Der Rotor als Teil einer Installation wird zur Verdeutlichung eines erweiterten Skulpturbegriffs verstanden. Auf den Gebieten der Grafik und der Zeichnung findet sich durch alle Schaffensphasen das Motiv der Rotation; man denke an das Windspiel von 1960, die goldene Rotor-Reliefscheibe, die 1970 geschaffene Suite von vier Rotationen oder die Valeria-Suite 1999.
Gemeinsam mit der Lichtdynamik, den Rasterbildern und den dynamischen Strukturen bilden Rotationen ein stabiles Rückgrat seiner kreativen Ausdrucksformen, die allesamt künstlerisches Neuland betreten. Der Bildhauer Mack ist von der Möglichkeit, Bewegung, Dynamik und Dreidimensionalität einzusetzen, ebenso fasziniert, wie er diese als Maler, Zeichner und Grafiker einsetzt. In all diesen Techniken realisiert er seine Imaginationen von der in Zeit, Raum und Bewegung gestellten Kunst, die keinerlei Begrenzungen verträgt, außer einer physisch-technischen, die unvermeidbar ist. In späteren Phasen des Werks wird diese Wirkung häufig noch gesteigert durch den Einfluss östlicher, häufig muslimischer Ornamentik. Hier mögen die Himmelsgewölbe in der Moschee von Isfahan ebenso eine Rolle gespielt haben wie phönizische Bronzeschalen, die allesamt eine ungeheure Dynamik ausstrahlen und sowohl architektonisch als auch in anderen künstlerischen Ausdrucksformen den gelungenen Versuch unternehmen, das menschliche Auge eine Dreidimensionalität und das Bewegen der Erde als Himmelskörper, das wir zwar nicht spüren, aber von dem wir wissen, spüren zu lassen. Kunst in diesem Sinne verstanden, ist für Heinz Mack eben mehr als der Versuch, mit guter Handwerklichkeit attraktive Kunstwerke zu produzieren. Dass er schon auf der Akademie ein Meister der Zeichnung war, ist überliefert und vielfach dokumentiert. Heinz Mack geht es jedoch um viel mehr, es geht ihm um nichts weniger als den Versuch, in all seinen Ausdrucksformen künstlerischer Praxis den letztlich für uns Menschen unbegreiflichen Geheimnissen des Kosmos ein wenig näher zu kommen. Die Philosophie des in dieser Disziplin akademisch ausgebildeten Heinz Mack dafür ist Heraklits panta rhei, also die Erkenntnis, dass nichts statisch ist, nichts den ewigen Fluss des Weltalls und allen Lebens in irgendeiner Form zum Stillstand bringen kann, ja, dass in unserem Dasein Bewegung, Rotation das einzige „feststehende“ immanente Element birgt.
Hinzu kommt die Ungegenständlichkeit, die Heinz Mack ausschließlich gelten lässt und die er mit dem genialen Satz definiert, dass „die gegenstandslose Welt nicht ärmer ist als die gegenständliche“. In dieser apodiktischen Aussage bewahrheitet sich die Erkenntnis Albert Einsteins, dass es scheint, als müsse der menschliche Geist zuerst unabhängige Formen konstruieren, bevor wir diese in den Dingen finden. Man denke an die von Einstein apostrophierte Schwerelosigkeit, die er als notwendige Folge des Äquivalenzproblems erkannte, bevor sie jemals empirisch erfahren worden wäre, es sei denn unbewusst (Fahrstuhlexperiment). Es geht Heinz Mack also in seiner Arbeit um das Prinzipielle, das Wesentliche und Unumstoßbare. Denn das vermeintlich Gegenstandslose wohnt dem Gegenständlichen inne. Man hat versucht, in der Malweise Heinz Macks eine Anlehnung an die „écriture automatique“ der Surrealisten zu entdecken. Das ist insoweit nicht völlig abwegig, als sich auch Heinz Macks konkrete Umsetzung seiner Vorstellungen, vor allem in der Malerei und bei den Zeichnungen und Grafiken, in unterschiedlicher Ausprägung durch bewusste und unbewusste Einflüsse materialisiert. Diese Erkenntnis ist jedoch banal, denn auch wenn wir es nicht immer realisieren oder gar im Nachhinein definieren können, so liegen jedem menschlichen Handeln stets beide Teile des „Vorhandelns“ zugrunde, also eine höchst individuelle Mischung aus bewusstem und unbewusstem Handeln. Dieses „Vorverständnis“, das sich aus unzähligen Faktoren zusammensetzt und absolut individuell ist, führt nicht nur in der bildenden Kunst, sondern auch in der Jurisprudenz und vielen anderen Disziplinen zu einer Methodenwahl, die letztlich zwar „rational“ begründet wird und auch begründbar ist, nichts jedoch darüber aussagt, in welcher Weise sehr konkret die einzelne konkrete Handlung, die malerische oder zeichnerische Ausführung ihre Einflüsse hatte. Man spricht hier von einem Zirkel der Hermeneutik, denn alles, was man deuten und verstehen will, muss schon davor verstanden und gedeutet worden sein. Um diesem Paradoxon zu entgehen, haben die Surrealisten eine vermeintliche „Automatik“ auf die Erkenntnisse Sigmund Freuds zurückgeführt, jedoch anfänglich allzu dogmatisch, von Breton geradezu ideologisch eingesetzt, was einer wissenschaftlich fundierten Untersuchung nur bedingt standhält. Das bewusste Einsetzen grafischer und skulpturaler Elemente spricht nach dem oben Gesagten bei Heinz Mack ohnehin nicht in erster Linie für ein weniger von der Ratio getragenes Einsetzen von Strukturelementen. Und so spielen selbstverständlich auch bei Heinz Mack die Einflüsse anderer Künstler eine Rolle, deren Gewinn für seine Arbeit er so beschreibt: „… dass ich fast alles, was ich weiß, von anderen Künstlern gelernt habe, dass aber alles, was ich heute entdecke, erfinde, verwirklichen möchte, aus mir, aus meinem Innersten entspringt. Ich bin mit dem, was ich mache, identisch. Bei allem Respekt vor dem Unbewussten, das, wie gesagt, jedes rationale Handeln beeinflusst, spielen die vielfältigsten Einflüsse, vor allem aber auch die Strukturen und der philosophische Hintergrund im Schaffen des Künstlers eine zu große Rolle, als dass sie auf eine fundamental surrealistische Basis zurückgeführt und dadurch begrenzt werden könnten. Die Kunst Heinz Macks ist – um es pointiert zu sagen – das Gegenteil von Automatismus, wenngleich er Spontaneität und „Seele“, wie er es nennt, bei seinem Schaffensprozess nicht ausschließt.
In diesem Zusammenhang sei noch auf einen anderen Aspekt hingewiesen. Kurt Schwitters und El Lissitzky postulierten 1924, dass die Konstruktionselemente moderner Kunst bereits in der Natur angelegt seien und nur entdeckt werden müssten.1 Sie wollten damit zum Ausdruck bringen, dass es im Grunde nichts wirklich Neues auf dieser Welt gebe, was nicht bereits in der Natur angelegt sei, jedoch bislang nicht erkannt worden sei. Diese Aussage muss in ihrem zeitlichen Kontext gesehen werden, denn sie wurde getätigt, als Physik und Medizin bis dahin für das menschliche Auge Unsichtbares und durch das Genie Einstein Unerkanntes zutage förderten.
Deshalb ist diese Erkenntnis heutzutage zwar trivial, führt jedoch zu den Motiven Heinz Macks, der die dem Menschen vorgegebenen und von ihm nach und nach entdeckten Phänomene der Physik mit seinen Arbeiten zu komplementieren sucht, indem er selbst in seinen „flachen“ Darstellungen physikalische Grunderkenntnisse aufdeckt und einarbeitet und sich damit von der Eindimensionalität abhebt. Man denke aber auch an die Chromatiken, die sich mit der Farbenlehre Goethes auseinandersetzen und dessen umstrittene These zu den physischen Farben zu bestätigen scheinen, auch wenn diese Ansicht von der überwiegenden Meinung in der physikalischen Wissenschaft nicht geteilt wird. Bei diesen, so postuliert Heinz Mack, sei die „Identität von Licht und Farbe, welche im Spektrum sichtbar wird, nicht nur ihr Gegenstand, sondern ihr einziger Gegenstand“.
Dies setzt sich fort mit der Einbeziehung des Raumes und der Bewegung, die bei ihm immer wieder eine entscheidende Rolle spielen. Der Künstler ist offenbar fasziniert von den ihn umtreibenden Fragen unserer Existenz, denen er künstlerisch Ausdruck zu verleihen in der Lage ist.
Und gewiss ist das Moment der Bewegung entscheidend für die Beziehung des Künstlers zur farblichen Gestaltung seiner Rotationen. Den Betrachter setzt er dabei jedoch keinen optischen Irritationen aus, weil er die Solidität der Arbeit nicht mit leicht zu erreichenden, nur oberflächlich wirkenden und zu verstehenden Verführungen versieht. Vielmehr fängt Heinz Mack die grundsätzliche Grenzenlosigkeit von Ornamenten durch die Geometrie eines Kreises auf, der an den Enden ausfranst und dessen rotierende Wirkung er durch an eine Kreissäge erinnernde Zacken erreicht.
Die dadurch dargestellte Dynamik lässt den Betrachter sogleich die Flächigkeit vergessen, sondern vermittelt ihm das Gefühl eines sich im Raum bewegenden Elements, das – je nach Ausgestaltung – sich von ihm zu entfernen scheint oder auf ihn zurast. Letzteres führt dann zu einem kurz aufflackernden Beklemmungsgefühl durch die Bedrohung, die, wenn auch nur für eine kurze Zeit, impliziert wird. Das Vorherrschende sind Assoziationen von Bewegung und Räumlichkeit, und eben das ist die wohlinszenierte Absicht des Künstlers. Wie stets bei einer Spirale wird ihr Ende im Inneren auf eine Konzentration des Materials oder der Farbe reduziert. In ihrer spiralhaltigen Ausformung wird die erreichte Abstraktion der Struktur bis auf eben diese Konzentration verdichtet, also – im Gegensatz zu der durch die Rotation provozierten Vorstellung von der Unendlichkeit des Raumes, die sozusagen das Maximum der Vorstellbarkeit evoziert – im Kern auf ihr Minimum reduziert.
Heinz Mack achtet sehr darauf, dass bei aller Dynamik, die er anstrebt, die wahre Kunst darin besteht, die „Ruhe der Unruhe“2 zu beherrschen. Dadurch bergen selbst die unruhigsten Rotationen als auch der Wechsel von starker Rhythmik durch das allmähliche An- und Abklingen von Schwarz-Weiß bzw. durch die Farbabstufungen ein harmonisches Ganzes, eine gewisse Ausgewogenheit, ohne den Anspruch der Unruhe völlig zu verwischen. Dazu kommt die fulminant mit Unterstützung eines einfühlsamen (und ausdauernden) Druckers realisierte Art der grafischen Umsetzung. Neben anderem bietet der Siebdruck dem Künstler aufwendige Möglichkeiten, da er mit 15 bis 45 Sieben arbeitet, was die Wirkung der Farben und der Struktur jedes Blattes beeinflusst und es im Grunde zu einem Unikat werden lässt.
„Jede Zeichnung ist eine Art Signatur, so wie mein Fingerabdruck“, sagt Heinz Mack von seinen Zeichnungen, eine Aussage, die auch auf die meisten Grafiken übertragen werden kann, bilden sie doch in ihrer Vervielfältigung lediglich das jeweilige Abbild des „Originals“. Weiter: „Was ist eine gute Zeichnung? Ich sehe es, aber ich weiß es nicht zu erklären. Was ich weiß, ist, dass man sich nicht von seiner Handschrift trennen kann; das gilt erst recht für jeden Zeichner. Und ich weiß, dass eine Zeichnung eine Art intimes, stilles Zweigespräch ist zwischen der Seele und dem kritischen Geist, das von der Hand seismografisch niedergeschrieben wird: Das ist die Sprache meiner Hand.“3
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm
im Februar 2021
1) Hierauf hat Bernd Finkeldey in seinem Beitrag „System und Individualität“ des Katalogs zur Heinz-Mack-Ausstellung in Schloss Moyland, 2001, hingewiesen.
2) Heinz Mack, ,,Die Ruhe der Unruhe“, in: ZERO 2, 1958, hrsg. von Heinz Mack und Otto Piene.
3) Heinz Mack in: ,,Die Sprache meiner Hand“, Ausstellung im Museum Kunstpalast, Düsseldorf, 2011, S. 265 ff.