Ein spektakuläres Manifest für die Fotografie

Veröffentlicht am 15. März 2019, aktualisiert am 26. Januar 2022 unter Aktuell, Aktuelles, Volker Krämer

Kunstpalast-Generaldirektor Felix Krämer: über den Erwerb der Fotosammlung Kicken für den Kunstpalast Düsseldorf, seine Liebe zur Fotografie und über Fotokunstdebatten. Das Interview führte Hartmut Bühler.

Felix Krämer, Leiter vom Kunstpalast in Düsseldorf und Sohn von Volker Krämer, ehemaliger Fotograf für die Rheinische Post
und dem Stern. © Hartmut Bühler

 

Der Rat der Stadt Düsseldorf hat am 13. Dezember 2018 einstimmig die Erwerbung der Bestandssammlung der Galerie Kicken für die städtische Sammlung des Kunstpalastes beschlossen. Von den insgesamt 3.039 Fotografien werden 1.823 Fotos angekauft, zusätzlich schenkt Annette Kicken der Landeshauptstadt 1.216 Aufnahmen. Mit diesen Fotografien wird der Kunstpalast zu einem wichtigen Foto-Standort in Deutschland. Als erstes Museum in Düsseldorf verfügt es somit über eine bedeutende Fotosammlung, welche die Fotogeschichte von 1840 bis 1990 mit herausragenden Werken abdeckt.

Das Konvolut beinhaltet Originalabzüge (‘Vintage Prints’), von den Fotografen selbst angefertigte, autorisierte spätere Abzüge sowie Portfolios und Alben. Sammlungsschwerpunkte sind die Fotografie des 19. Jahrhunderts (540 Werke), der Bereich des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit (1.001 Werke), die Bauhaus-Fotografie (194 Werke), die Subjektive Fotografie (214 Werke) und die New Topographics-Autorenfotografie (342 Werke). Darüber hinaus umfasst die Sammlung wesentliche Arbeiten aus der Frühzeit der Fotografie, des Piktorialismus sowie der Presse- und Modefotografie sowie Fotos aus der DDR. Der Schwerpunkt des Konvoluts liegt auf Arbeiten von Fotografen aus Europa und den USA, welche in dem Entstehungszeitraum der Bilder die führenden Regionen für die Entwicklung des Mediums darstellen. Sie enthält Ikonen der Fotografiegeschichte. Darunter Werke von Leopold Ahrendts, Gertrud Arndt, Bernd und Hilla Becher, Sibylle Bergemann, Robert Capa, Hugo Erfurth, Horst P. Horst, Lotte Jacobi, Rudolf Koppitz, Heinrich Kühn, André Kertész, Lázsló Moholy-Nagy und Lucia Moholy, Eadweard Muybridge, Helmut Newton, Man Ray, Albert Renger-Patzsch, Franz Roh, August Sander, Otto Steinert und Edward Weston. Die Fotografie ist jetzt zentraler Teil der Sammlung des Kunstpalasts.

Endlich wird in Düsseldorf eine höchst wundersame Lücke geschlossen: trotz weltweitem Aufsehen erregender Labels wie ‘Becherklasse’ oder ‘Düsseldorfer Schule’ (neben den Begründern Hilla und Bernd Becher u. a. Boris Becker, Elger Esser, Claudia Fährenkemper, Bernhard Fuchs, Andreas Gursky, Candida Höfer, Tata Rankholz, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth; nicht vergessen werden darf Katharina Sieverding und Axel Hütte) und einer sehr lebendigen Fotokunstszene gab es bis dato in der NRW-Landeshauptstadt keine institutionelle Fotografiesammlung von historischer Bedeutung. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, der eine fundierte Auseinandersetzung zwischen Fotohistorie und lebendiger Gegenwartsfotografie ermöglicht. Aktivist der pro Foto-Initiative ist der Generaldirektor und künstlerische Leiter der Stiftung Kunstpalast in Düsseldorf: Felix Krämer (48).

 

Herr Krämer, was fließt durch Ihre Adern: Ölfarben und Terpentin oder sind es Fotochemikalien – und wenn ja, wieviel Prozent sind es Fotochemikalien?

FK: Eine Präferenz gibt es nicht. Aber ich habe durch die Fotografie zur Kunst gefunden.

Geschah das durch angewandte Fotografie, künstlerische oder Kunstfotografie?

FK: Das trenne ich nicht. Das machen Sie bei einem Gemälde ja auch nicht. Das Entscheidende ist das Bild. Wenn es mich fesselt, wenn das Bild mir etwas von der Welt erzählt, wenn es etwas mit mir macht, mich verändert, dann ist da etwas, womit ich mich beschäftige. Dann ist es egal, ob das ein Foto, eine Radierung, eine Skulptur oder ein Druck ist. Wichtig ist die Hingabe und die Liebe zum Objekt – ich will da keine Hierarchien herstellen. Was mir aber oft nicht gefällt bei Fotoausstellungen, ist die Lieblosigkeit der Hängungen, die mangelnde Wertschätzung gegenüber den Werken. Oft sind da zu viele Motive zu eng aneinander mit schlechter Beleuchtung. Oder ohne Passepartout und Rahmen. Im Schnitt wird eine Gemäldeausstellung mit mehr Wertschätzung und Aufwand gehängt.

Wenn Sie Henri Cartier-Bresson nehmen oder Felix H. Man, die klassische Reportagen gemacht haben – wenn der zeitliche Abstand groß geworden ist, dann entsteht aus der journalistischen Fotografie wie selbstverständlich künstlerische Fotografie.

Aber keine Kunstfotografie?

FK: Die Frage ‘Kunst oder nicht Kunst?’ langweilt mich. Die kann ich nicht beantworten. Ich glaube, wenn da jemand eine schlüssige Auskunft hätte, dann wäre der sehr reich. Wir anderen stochern da alle nur herum. Dieses nicht beantworten zu können, macht ja den Reiz aus, sich damit auseinanderzusetzen.

Apropos künstlerische Fotografie: das ist wie eine Krücke, wir sprechen ja auch nicht von künstlerischer Malerei. Da ist ja schon der Begriff verräterisch. Mir geht es nicht primär darum, ist es Kunst oder keine Kunst. Sondern vielmehr darum, ob es ein gutes Bild oder ein weniger gutes ist. Mit journalistischer Fotografie komme ich besser klar. Journalistische Fotografie dient einem konkreten Zweck, der sich mit der Aufnahme verbindet. Trotzdem darf nicht das Alter entscheidend sein, um ein Foto zum Kunststatus zu erklären. Das wäre absurd. – Ich finde es aber richtig, unsere kommende Ausstellung ‘Kriegsfotografinnen an der Front’ im Kunstpalast zu zeigen. Dort ist der richtige Ort, weil es gute Bilder sind.

Haben Sie sich mit ihrem Bekenntnis ‘die Fotografie entscheidet über die Zukunftsfähigkeit der Kunstmuseen – unbestritten ist sie das Medium, das eine große Zahl junger Besucher in die Häuser holt’ auch Feinde gemacht? Und falls ja, wer sind diese?

FK: Ob alle meiner Kollegen meiner Meinung sind, weiß ich nicht. Allerdings habe ich auch keine konträren bzw. negativen Antworten erhalten: ich würde aber gerne darüber diskutieren. Für mich stellt sich wirklich die Frage, wie will ich denn über Bildfindungen, über Bildprozesse, über Wahrnehmung im 21. Jahrhundert reden, wenn ich das wichtigste Bildmedium überhaupt nicht in meine Arbeit integriere. Ein Kunstmuseum ohne Fotografie – dem fehlt etwas. Ich rede jetzt nicht über den Markt, sondern über die Rezeption. Es wird für die Zukunft eines Museums entscheidend sein, ob sie eine Fotosammlung hat oder nicht. Die Allgegenwärtigkeit der Fotografie ist so ungeheuer immens und prägt uns alle. Jeder zeitgenössische Maler hat schon hunderte, tausende Fotos gesehen. Das 19., 20. und unser jetziges Jahrhundert wäre nicht so verlaufen und denkbar, wenn es die Fotografie nicht gegeben hätte.

Es kommt ja immer noch vor, dass Leute von einem jungen Medium sprechen. Die Fotografie ist aber in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts erfunden worden. Warum wird es immer noch als junges Medium bezeichnet? Und obwohl das Medium so präsent ist, wissen wir relativ wenig über die Anfänge und ihre Geschichte.

Der französische Journalist, Karikaturist, Luftschiffer und Fotograf Nadar…

FK: Nadar ist ein ‘Leuchtturm’, man kennt ihn. Aber es gab so viele großartige Fotografinnen und Fotografen zur Anfangszeit, die experimentiert haben, die an Kunsthochschulen waren, deren Namen wir heute nicht kennen oder längst vergessen haben.

Hätte die Findungskommission, darunter war auch Fotograf Andreas Gursky und das Kuratorium der Stiftung Museum Kunstpalast gewusst, dass Sie sich derart stark für die Fotografie einsetzen: würde diese Sie heute noch einmal wählen? Wussten die restlichen Entscheider von Ihren Fotoplänen?

FK: Die wussten von meinem Faible für Fotografie. Wir haben ja in Düsseldorf die gute Situation, dass ich mit meiner Begeisterung für Fotografie nicht alleine bin. Ihre Frage kann wirklich nur die Kommission selbst beantworten, ob sie mich wieder wählen würde. Ich glaube aber, das wäre kein Hindernis gewesen. Im Gegenteil, ich erlebe so viele positive Reaktionen, gerade auch für die Entscheidung zu Kicken. Die Unterstützung der Stadt war fantastisch, das ist alles andere als selbstverständlich. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Großstädte es in Deutschland gibt, wo man einen solchen Ankauf noch realisieren könnte.

Steht Ihr Bekenntnis zur Fotografie nicht im Widerspruch für das, wofür der Kunstpalast für viele Außenstehende ‘steht’? Sie stellen die Fotografie gleichberechtigt neben die Bildhauerei, Malerei, Grafik und Angewandter Kunst. Dann haben Sie ja auch noch das Wort Museum entfernen lassen – bis zu Ihrem Antritt als Generaldirektor am 01. Oktober 2017 hieß es Museum Kunstpalast.

FK: Was der Name der Institution mit der Frage der Integrierung von Fotos zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Genau wie die Pinakotheken oder die Hamburger Kunsthalle, um nur zwei Institutionen zu nennen, bleiben wir auch in Zukunft ein Museum. Wie ich aber schon sagte, ist die Fotografie für mich ein wesentlicher Teil unserer Kunstgeschichte, den man nicht ignorieren kann. Es gibt auch Menschen, die das Internet ablehnen und sagen, das geht vorüber. Das ist eine Haltung, die kann man haben. Ist aber nicht meine. So wie die digitalen Lebenswelten in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen werden, wird auch die Fotografie einen immer wichtigeren Platz einnehmen.

Wie ist die Stimmung im eigenen Haus in puncto Fotografie? Wird das Konvolut ‘Kicken’ von allen Mitarbeitern unterstützt?

FK: Es ist ja nicht so, dass es hier im Hause überhaupt keine Fotografie gab und Fotoausstellungen gab es ja einige. Sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gesagt: genau eine Fotosammlung fehlte bis jetzt. Wir haben seit 2003 das AFORK Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene mit Dokumentationscharakter, es ist aber als Archiv konzipiert und nicht als Sammlung. Was bisher komplett fehlte, war eine Sammlung, die in der Lage ist, Fotohistorie zu erzählen.

Woraus werden die etwa achteinhalb Millionen Euro des Ankaufes finanziert?

FK: Das sind investive Mittel aus dem Haushalt der Stadt Düsseldorf. Sie wurden nicht dem bestehenden Kulturhaushalt entnommen, sondern für 2018 außerplanmäßig bereitgestellt. Das Tolle an dieser Entscheidung der Stadt ist, dass sie sagt, wir investieren damit in die Zukunft, in den Standort des Museums.

Achteinhalb Millionen Euro beträgt die Ankaufssumme – laut Handelsblatt liegt der Wert bei etwa zwölf Millionen Euro. Ich mache jetzt eine simple Rechnung: achtkommafünf Millionen Euro dividiert durch 3.039 ergibt 2.797 Euro „Durchschnittswert“ pro angekauftes Foto. Welches sind die drei teuersten Fotos, wie heissen diese und von wem stammen sie?

FK: Die einzelnen Versicherungswerte kenne ich nicht auswendig. Das ist keine Koketterie, ich weiss es wirklich nicht. Ein Helmut Newton ist per se relativ teuer, das heisst aber nicht, dass er ‘wertiger’ ist als ein Edward Weston, Man Ray oder August Sander. Da müsste man in die Gutachten blicken. Aber das ist nicht meine Perspektive. Es geht mir um das Foto, um das Bild und nicht vordergründig um den aktuellen Geldwert. Der Erwerb dieser Sammlung ist, entgegen der Meinung mancher Kritiker, kein reiner Geld-Deal. Es geht hier um sehr viel mehr. Natürlich sind das öffentliche Gelder und damit das der Steuerzahler. Aber in der Tat sind diese Fotos eine Langzeitinvestition für uns jetzt und für unsere Kinder und Enkel.

Es gibt also keine Rangliste der wertvollsten Fotos?

FK: Eine Hitliste der Preise mache ich nicht, was bringt das? So schauen wir nicht auf die Fotos. Auch nicht auf unsere Gemälde à la was ist jetzt das teurere und damit angeblich wertvollere: der Rubens oder der Kirchner?

Hat der Kunstpalast jetzt auch die Rechte an den erworbenen Fotoikonen? Welche Auflagen haben Sie diesbezüglich seitens der Galerie Kicken?

FK: Die Rechte liegen bei den Fotografinnen und Fotografen. Oder sie sind rechtefrei nach 70 Jahren. Auflagen gibt es keine.

Das heisst, Sie können jetzt auch Kaffeetassen, Schals oder andere Merchandising-Produkte mit Kühn- oder Nadar-Motiven machen?

FK: Das hätten wir schon vor dem Ankauf machen können.

Am 20. Dezember 2018 erfolgte ein vielbeachtetes Bundesgerichtshof-Urteil, wonach ein Museum die Kontrolle über die Verbreitung von museumseigenen Kunstwerken behält, auch wenn das Urheberrecht nicht mehr besteht (es erlischt nach 70 Jahren nach dem Tod eines Künstlers). Wie sieht es im Kunstpalast mit dem sogenannten „Lichtbildschutz“ aus? Ich kann mir gut vorstellen, dass während der ersten Ausstellung des Kicken-Konvoluts Besucher permanent zur Handy-Kamera greifen werden.

FK: Es stellt sich die Frage, will man etwas dagegen tun? Ich bin da sehr liberal eingestellt. Für den persönlichen Gebrauch dürfen Besucher fotografieren, aber nicht mit Blitz oder Stativ. Aber es geht ja um die mögliche Verbreitung der gemachten Aufnahmen. Eine Rechteklage wie es sie in den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim gab und über den der BGH sein Urteil fällte, kann ich mir bei uns nicht vorstellen. Wenn ein Leihgeber und Rechteinhaber partout nicht will, dass fotografiert werden darf, machen wir natürlich darauf aufmerksam. Dennoch: Verbote sind immer heikel und es ist schwer, diese durchzuhalten.

Warum ist es wichtig, in einem Wettbewerb zu stehen gegen Museen wie Folkwang in Essen, Museum Ludwig in Köln, das Münchner Stadtmuseum oder das Haus der Photographie in Hamburg?

FK: Die von Ihnen genannten Institutionen sind historisch gewachsene riesige Sammlungen mit eigenem Charakter, von großartigen Fachleuten über Jahrzehnte aufgebaut – die empfinde ich nicht als Konkurrenz. Da gehen wir alle unseren eigenen Weg.

Wir hatten in Düsseldorf eine spezielle Situation, anders als in anderen Städten: Düsseldorf hat in den letzten 50 Jahren in der Fotogeschichte eine spezifische und wichtige Rolle gespielt, hatte aber die Merkwürdigkeit, dass es in dieser Stadt keine Fotosammlung gab. Es wird aber ständig über Fotos geredet. Wer etwas von Becher verstehen will, sollte auch etwas über die Neue Sachlichkeit wissen. Und wer etwas von Sander sehen wollte, der musste bis dato nach Essen oder Köln fahren, um ihn sehen. Dieses Manko ist einer Stadt wie Düsseldorf nicht angemessen.

28. Februar 2019
Copyright © Hartmut Bühler

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