Robert Wilson Zeichnen ist eine Art zu denken

Veröffentlicht am 24. April 2017, aktualisiert am 13. Januar 2022 unter Aktuelles, Presse, Robert Wilson

Robert Wilson, Gao Xingjian, 2005 / Music by Peter Cerone © Robert Wilson

Robert Wilson, Gao Xingjian, 2005 / Music by Peter Cerone © Robert Wilson

Düsseldorf. Die Galerie Breckner hat an zwei Düsseldorfer Orten bildnerische Werke des texanischen Meisterregisseurs Robert Wilson versammelt, die größtenteils in engem Zusammenhang zu dessen Inszenierungen stehen.

Es ist ein Bild voller Magie und Kraft. Alle suchen den Ort, an dem es hängt. Das schwarz-weiße Porträt ist nicht einfach nur schön und eindringlich. Die aufgedrehte Vernissagengesellschaft pilgert vom Ratinger Tor über die belebte Ratinger Straße zur Altestadt, in die Räume der Galerie Breckner. Die meisten Damen und Herren halten die großformatige Einladungskarte in der Hand, auf der das Video abgebildet ist. Jetzt stehen die Menschen endlich davor, und was geschieht?

Alles vollzieht sich fast unmerklich. Man muss verharren und sehr genau hinschauen, um zu erfassen, was für ein außergewöhnliches Porträt der als Theaterregisseur berühmt gewordene Texaner Robert Wilson in seiner Eigenschaft als bildender Künstler erstellt hat. Neun Minuten fordert er, um das fast regungslose Gesicht des Literaturnobelpreisträgers Gao Xinjian zu betrachten. Der Schriftsteller mit chinesischen Wurzeln hat die Augen geschlossen, einen entspannten Gesichtsausdruck. Sehr langsam wird mit einer unsichtbaren Feder von oben links nach unten rechts, diagonal, über sein Gesicht, ein Satz geschrieben: „La solitude est une condition necessaire de la liberté“ (Einsamkeit ist eine notwendige Bedingung für Freiheit). Nach zwei Minuten ist der Satz fertiggeschrieben, dann öffnet der Mann langsam die Augen, blinzelt, und die Schrift verschwindet wieder. Er schließt die Augen, alles wiederholt sich.

Dass diese Ausstellung zustande gekommen ist und dass man den für seine originäre Ästhetik international gefeierten Theatermacher zeitgleich als Künstler erleben kann, liegt am Engagement des Galeristen Till Breckner einerseits und an Wilsons Engagement im Schauspielhaus andererseits. Intendant Wilfried Schulz konnte ihn gewinnen, E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ zu inszenieren – noch vor Wiedereröffnung des derzeit wegen Baustelle geschlossenen Hauses am Gustaf-Gründgens-Platz wird die Premiere im Mai dort über die Bühne gehen. Und wenn Wilson gemeinhin bekannt ist für seine feinsinnigen Lichtkompositionen, seine präzise choreographierten Bewegungsabläufe und sein klares Design, so wird die Kreativkraft durch sein bildnerisches Werk untermauert und ergänzt.

Allerdings, eines muss gesagt sein: Ohne die aufregenden Inszenierungen des Grandseigneur des Theaters zu kennen, wird man mit der Mehrzahl der Zeichnungen nicht allzu viel anfangen können. Anders als das autonome Video Still von 2005 sind die Zeichnungen etwas belanglos; kleinformatig, grau, schwarz, weiß, wenig getönt, oft in Serie nebeneinandergehängt. Die Titel verweisen auf legendäre Arbeiten Wilsons. Für die umjubelte Inszenierung von Brechts „Dreigroschenoper“, 2007 am Berliner Ensemble, hat er einige magere Skizzen angefertigt – auf einer wurden einfach nur sich verjüngende Stufen übereinandergeschichtet.

Die etwa 50 Zeichnungen, grafischen Arbeiten und Videos sind weit weniger spektakulär als das, was Wilson normalerweise auf der Bühne erschafft. Und doch sind sie für ihn bedeutungsvoller als flüchtige Skizzen. „Ich denke, während ich zeichne“, sagt er und dass er, während er an einem Stück arbeite, jede Szene wieder und wieder aufs Neue zeichne, um ein Gefühl für Licht und am Ende auch für die emotionale Struktur zu bekommen.

Für Wilson ist die Abbildung nur eine Krücke, eine Formel für die Unendlichkeit des Raumes und für das Spiel der Welt. Im Porträt versteckt er ein Gedankengebäude, in einem Stillleben das tatsächliche Leben und in einer Landschaft immer auch eine geistige Landschaft.

Lesen Sie diesen spannenden Artikel vom 19.04.2017 von Annette Bosetti auch auf RP Online.

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