Paris. Günther Uecker zeigt in der Unesco in Paris seinen Hafis-Zyklus. Mehr als eine Ausstellung ist es eine Kundgebung mit Diplomaten aus aller Welt zur Eröffnung. Von Annette Bosetti
Dass der iranische Botschafter ihn eingeladen hatte und internationale Diplomaten in den Hauptsitz der Unesco kamen, war für Günther Uecker aufregend. Der Kosmopolit fühlt sich der persischen Tradition und Mystik, dem Land und den Menschen doch sehr verbunden. Mehr als eine Ausstellung war die Eröffnung der Uecker-Schau eine Kundgebung. Immerhin hat sich der 92-jährige Künstler aus Düsseldorf nach Paris aufgemacht und zum ersten Mal seit dem Ausbruch von Corona das freigewählte Exil verlassen. Er hatte sich auch Worte zurechtgelegt. Zur Zeit der Einladung konnte er noch nicht ahnen, dass es einen Ukraine-Krieg geben wird und wie sich der Iran in diesem Krieg positioniert. Morgens im Paris bewegt sich Uecker im hellen Leinenanzug und Turnschuhen federnd durch die Ausstellungshalle. Am Abend wird er sich der Steifheit der Diplomatie beugen, dunklen Anzug und Krawatte tragen. Der Hafis-Zyklus ist bald mit den Druckstöcken aufgehängt. Sohn Jacob begleitet ihn und ein Team der Galerie Till Breckner, die die Ausstellung mit angeschoben und realisiert hat.
Die Ausstellung ist noch bis 28. Juli zu sehen
Unesco Der Hauptsitz der 1945 gegründeten Unesco liegt in Paris, von wo aus internationale Projekte initiiert und gefördert werden, die mit Kultur, Bildung und Wissenschaft zu tun haben. Das sehenswerte Y-förmige Gebäude in der Nähe des Eiffelturms wurde Ende der 1950er Jahre von namhaften Architekten entworfen. Im Gebäude finden regelmäßig Ausstellungen und Veranstaltungen statt. Die Unesco ernennt außerdem das Weltkulturerbe und Weltnaturerbe, sie führt derzeit eine Liste über 1154 Stätten in 167 Ländern.
Das 1945 gegründete Unesco wurde in der Hoffnung errichtet, dass Kultur, Wissenschaft und Erziehung friedensstiftend zwischen den Völkern wirken. Davon ist auch Günther Uecker überzeugt. Er hat sich auf den Reisen seines Lebens in fast alle Erdteile und Länder der Welt auf die Menschen eingelassen, über Kunst verständigt. Der weltweit gefragte Künstler ruht seit 2016 nicht, seine 42 Blätter zu Hafis‘ Versen zu zeigen. Weil ihm der Schatz des persischen Dichters (1315 bis 1390) der Inbegriff von Liebe und Poesie bedeutet. Poesie verbindet die Menschen, sagt er.
Aber kann sie auch Politik? Die kriegerischen Aggressionen von Russland in der Ukraine haben den feinfühligen Künstler eingeholt. „Wir befinden uns wieder im Krieg“, sagt der gebürtige Mecklenburger, der als Junge Mutter und Schwestern vor den Russen beschützen musste. Dazu vernagelte er Türen und Fenster des Zuhauses auf der Halbinsel Wustrow. Diese Ereignisse führten dazu, dass Uecker irgendwann den Nagel als verstärkten, als nachdrücklichen Stift zum Malen entdeckte, dass er als Nagelkünstler weltberühmt wurde. Nun ist das Trauma seiner Jugend wiedererwacht, beunruhigt seinen Geist. Unterbewusst werden die Schrecken des Zweiten Weltkriegs wach durch den Krieg in der Ukraine. Uecker gesteht, er habe Angst, „in dieser tiefsten Form von Angst.“
Vielleicht wird er am Abend in Paris zu den Botschaftern sprechen, hat er gesagt, gleichzeitig fragend: „Soll ich sprechen?“ Er trägt vor, was er sagen will: „Mit mehr Waffen ist eine Vernichtung von mehr Menschenleben verbunden. Wir sollten andere Aktivitäten entwickeln, die den Betroffenen zu ihrem Lebensrecht verhelfen.“ Die Tötung von Menschen müsse in den Mittelpunkt aller Betrachtungen gerückt werden, „stärkere Waffen töten mehr Menschen.“ Uecker fordert „eine Konvention, eine Vereinbarung unter den Menschen zu treffen, die sich so feindlich begegnen.“ Und schließlich: „Ich kämpfe nicht gegen Politiker, ich sage es einfach nur.“ Seine Bilder von Hafis` Versen sollen still auf die Botschafter wirken, die wiederum Einfluss auf die Menschen in ihren Heimatländern nehmen. „Ich hoffe“ so Günther Uecker, „Hafis – und nicht ich – wird sie berühren mit seinen Aussagen voller Lebensjubel und in seiner Poesie.“
Mit dem Corona-Unheil haben Uecker die Nägel nach Jahrzehnten wieder eingeholt. Neun Reliefs hat er genagelt, dazu Zeichnungen gefertigt, alles ab Oktober in New York zu sehen. „Es ist eine direkte Antwort auf meine innere Befindlichkeit, zu der Gefahr, in der wir uns durch Corona befanden und befinden.“ Während des Lockdowns war Uecker nicht in die Stadt gegangen und nicht gereist, hielt sich nur im Garten und in der Werkstatt auf. Die Nagelreliefs bezeichnet er als seine „ans Licht gebrachte Empfindungen.“ Schilder hat er diese neuen Reliefs genannt, dabei an das Schild zur Verteidigung gedacht. Und er spricht angesichts der Nagelung über Wundmale, Muttermale und Schandmale: „In dieser Epidemie ist man voller Flecken.“
Das Nageln hat ihn die ganze Corona-Zeit ausgefüllt. Dann kam der Krieg, auf den es noch keine bildnerische Antwort gibt. Bald aber werden seine Fenster für den Dom in Schwerin fertig sein, blaue Lichtbögen hat er gezeichnet.
Diese große Vielfalt fügt sich zu einem Werk, hier die 42 Hafis-Bilder, dort die neuen Nagelreliefs, parallel dazu die Domfenster. Uecker genießt mit 92 Jahren überbordende Schaffensfreude. „Das Eigentliche ist noch nicht getan“, sagt er abermals.
Am Abend der Eröffnung wird er über Hafis und die Kraft der Poesie reden. Nicht über Waffen.
Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Juli 2022 zu sehen.
„Orient und Okzident – Hafez mit den Augen von Günther Uecker“ – Paris
Salle des pas perdus
7, Place de Fontenoy
75007 Paris
Öffnungszeiten
Montag – Freitag, jeweils von 9 – 17.30 Uhr
Artikel von Annette Bosetti in der Rheinischen Post.
Günther Uecker Huldigung an Hafez
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