RP Online: Appelle aus dem verwundeten Syrien

Veröffentlicht am 26. Februar 2018, aktualisiert am 26. Januar 2022 unter Aktuelles, Presse

Düsseldorf. Die Galerie Breckner hat Künstler zu Gast, die bittere Botschaften mitbringen, darunter Reflexionen über den Krieg.

 

Jaber Al Azmeh, The Creation of Freedom, 2012, Digitalprint, 60 x 78 cm

Jaber Al Azmeh, The Creation of Freedom, 2012, Digitalprint, 60 x 78 cm

Die Alarmglocken müssten schrillen oder Tränen fließen. Das Gewissen wird wach, das Mitgefühl auch. Man kann Bilder aus Syrien kaum anschauen, ohne darüber zu reflektieren, dass nunmehr in dem vorderasiatischen Land seit sieben Jahren Bürgerkrieg herrscht. Zwischen Euphrat und Tigris liegt das Zweistromland, in dem die Wiege aller Kultur stand. Schon lange ist dort die Welt aus den Fugen. 11,6 Millionen Syrer sind auf der Flucht, dabei hat das Land nur 19 Millionen Einwohner. Fünf Millionen Flüchtlinge sind allein ins Ausland gezogen.

Die Kunst erteilt anders Auskunft als die Abendnachrichten. Sie entwickelt ihre eigenen Tempi. Dichte Kunst ist mit Gefühlen angereichert, sieht unter Umständen stumme oder beredte Anklagen vor. Was ist aus dem einstmals weltoffenen Land geworden, das einzig in der islamischen Welt dastand mit seiner Vielfalt der Ethnien und Religionen, mit seiner Mosaikgesellschaft aus Kurden, Turkmenen, Jesiden, Syrern, Arabern und Armeniern.

Die Künstler, die in der Galerie Breckner eine perspektivenreiche Ausstellung bestreiten, sind alle Flüchtlinge, leben mehrheitlich nicht mehr in ihrer Heimat. Die meisten haben Syrien verlassen, auch, um anderswo zu studieren. Das Exil ist ihre neue Heimat geworden, doch Syrien und die dort tobenden kriegerischen Auseinandersetzungen trägt diese Generation von Künstlern in die Welt hinaus. Ihre Ausstellung in Düsseldorf nennen sie „Caravane Culturelle Syrienne“. Mehr oder weniger drastisch sind die vielfältigen Positionen auf Fotos und Videos ausgebreitet. In ihnen klingt mitunter sehr leise Sehnsucht und Hoffnung an, dass irgendwann Menschen ein Einsehen haben und dem Schrecken ein Ende bereiten könnten.

2012 hat der bedeutendste Fotokünstler des Landes, Mohamad Al-Roumi, zuletzt seine Heimat besucht; Anlass war die Beerdigung seines in den Kriegswirren erschossenen Neffen. Jahrgang 1945 ist Al-Roumi, der in einer kleinen Steppenstadt im Zweistromland aufwuchs. In Düsseldorf zeigt er Fotoarbeiten, die zum Teil schon 2016 in seiner Einzelausstellung im Berliner Museum für islamische Kunst zu sehen waren. Er lenkt mit Milieustudien aus den 1980er und 1990er Jahren den Fokus auf Lebenswirklichkeit, lange bevor der Krieg ausbrach. Al-Roumi teilt dem Betrachter eher nüchtern seinen persönlichen Blick auf seine Heimat mit. Dazu bedient er sich einer ausgefeilten ästhetischen Foto-Sprache jenseits des Dokumentarischen. Schönheit hat ihren Platz in der Komposition wie die Hässlichkeit des Alltäglichen. Es scheint, die Fotos entstanden nicht spontan, sondern sie wurden geheimnisvoll inszeniert.

Zu Gast bei Beduinen ist man, das Folkloristische wird dabei zurückgedrängt zugunsten des Individuellen dieser Menschen, denen der Fotograf Respekt erweist. Welten stoßen aufeinander in der Weite des Landes. Die Landschaft ist eine Konstante des Außerordentlichen, sepiabraun, ohne Unruhe, von der Sonne beschienen. Auf den Fotoarbeiten von Syriens bekanntestem Fotokünstler gibt es weder Tote, noch Trümmer oder Panzer. Auch kein Blut. Es ist ein Stück heiler Welt, das Al-Roumi vor langer Zeit festschrieb. Wer weiß, was davon übriggeblieben ist.

Anders ist die jüngere Generation vorgegangen, ihre Kunst setzt sich aus Bildern und Metaphern, aus Leid und Schmerz zusammen. Darin versteckt sind, so die Überzeugung der Kuratoren, global gültige Symbole der Hoffnung.

Ruinen hat Tammam Azzam mit Gustav Klimts berühmtem goldfarbenen Motiv des Kusses bestückt, er will die Tragödie seines Landes mit international gültigen Bildzeichen übersetzen. So könne er mit dem Unbeschreiblichen umgehen, sagt der Künstler. Für das „Graffiti Freedom“ erhielt Azzam internationale Anerkennung. Die syrische Künstlerin Sulafa Hijazi ist ein typisches Kind der jüngeren Assad-Generation. In der Schule musste sie Militäruniform tragen und schießen lernen. Als Erwachsene, nach dem Studium am Frankfurter Städel, nimmt sie Distanz zu ihrer Herkunft und Prägung ein. Sie kalkuliert, was geschehen muss, damit Menschen den Tod verherrlichen oder Geburt als etwas Triviales betrachten. Oben auf eine gezeichnete Nähmaschine montiert sie einen halb skelettierten Kopf, das Tuch, das unter der Nadel liegt, ist ein Camouflage-Stoff für Uniformen, der Faden, der vernäht wird, blutrot.

Noch deutlicher und drastischer werden Künstler in ihren Videoarbeiten. In einen virtuellen Koffer hat Alaa Hamameh alles Wichtige gelegt, was Menschen missfällt, die im Krieg sind – „A Suitcase Memory“ heißt der prägnante Trickfilm. Amjad Wardeh operiert mit weltberühmter Kunst, sie steckt die „Mona Lisa“ in Brand, den Turm zu Babel auch, dann verschiebt sie Elemente auf Dalìs surrealen Bildern. Syrien ist selbst ein Stück Kunst, sagt sie, und „Protect us – beschützt uns“.

So wird diese Ausstellung im Rahmen des diesjährigen Photo Weekends mehr als eine Grußbotschaft ein dringlicher Appell auf Frieden.

Lesen Sie diesen spannenden Artikel vom 15. Februar 2018 von Annette Bosetti auch auf RP Online.

Das könnte Sie auch interessieren